Der goldene Hirsch
Ein
König hatte seine größte Freude an großen stolzen
Soldaten und schönen weißen Schilderhäuschen und konnte es ums
Leben nicht ausstehn, wenn Namen oder Sprüche oder Reimchen auf die
Schilderhäuschen geschrieben waren; das hatte er bei Todesstrafe verboten.
In seiner Leibgarde hatte er einen Soldaten, der war der größte Mann im Lande, so daß für ihn ein eigenes Schilderhäuschen gebaut werden mußte. AIs der eines Tages auf Wache vor dem Schlosse stand, wurde ihm die Zeit lang und er schrieb auf das Schilderhäuschen: 'Geld macht Alles aus.' Der König lag zufällig im Fenster und sah das, kam sogleich herunter in den Schloßhof und an das Schilderhäuschen. Da stellte er den Soldaten scharf zur Rede, las ihm den Text und sprach: 'Diesmal laß ich es dir noch einmal hingehn, aber das Nächstemal nicht mehr.' Und damit der Soldat nicht wieder in Versuchung käme, an das Schilderhäuschen zu schreiben, mußte er von jetzt an im Schloß vor der Thür der Prinzessin auf Wache stehn.
Ein Soldat hat auch ein Herz und er stand nicht manchen Tag da, als er sich sterblich in die Prinzessin verliebte. Sie war aber auch so schön, wie man nur ein Mädchen sehen konnte und dazu gar freundlich und gut, nicht hochfahrend oder stolz. 'Ach,' dachte da der Soldat, 'wenn ich jetzt Geld hätte, dann wäre Alles' gut, dann käme ich mit vielen Wagen und Bedienten und großem Hofstaat und bäte den König um ihre Hand, statt daß ich nun wie ein armer Sünder dastehe und sie kaum anblicken darf, die schöne Prinzessin.' Und er zog sein Bleistift aus dem Sack und schrieb sein Sprüchlein mitten auf die Thür: 'Geld macht Alles aus.'
Am folgenden Morgen, als der König zu seiner Tochter gehen wollte, stand der Spruch da. Sogleich wurde der Soldat vor ihn in sein Zimmer geführt und der König frug ihn, warum er sich unterstanden habe, solches an die Thür der Prinzessin zu schreiben. Der Soldat dachte: 'Sterben muß ich doch, da mag der König auch Alles wissen' und er gestand ihm, daß er die Prinzessin liebe und ohne sie nicht leben könne, darum sei ihm der Tod am Ende ein willkommener Gast.