Edgar Allan Poe
Die Maske des roten Todes
Prinz Prospero aber war fröhlich und
unerschrocken und weise. Als sein Land schon zur Hälfte entvölkert war,
erwählte er sich unter den Rittern und Damen des Hofes eine Gesellschaft
von tausend heiteren und leichtlebigen Kameraden und zog sich mit ihnen
in die stille Abgeschiedenheit einer befestigten Abtei zurück. Es war
dies ein ausgedehnter prächtiger Bau, eine Schöpfung nach des Prinzen
eigenem exzentrischen, aber vornehmen Geschmack. Das Ganze war von einer
hohen, mächtigen Mauer umschlossen, die eiserne Tore hatte. Nachdem die
Höflingsschar dort eingezogen war, brachten die Ritter Schmelzöfen und
schwere Hämmer herbei und schmiedeten die Riegel der Tore fest. Es
sollte weder für die draußen wütende Verzweiflung noch für ein etwaiges
törichtes Verlangen der Eingeschlossenen eine Türe offen sein. Da die
Abtei mit Proviant reichlich versehen war und alle erdenklichen
Vorsichtsmaßregeln getroffen worden waren, glaubte die Gesellschaft der
Pestgefahr Trotz bieten zu können. Die Welt da draußen mochte für sich
selbst sorgen! Jedenfalls schien es unsinnig, sich vorläufig bangen
Gedanken hinzugeben. Auch hatte der Prinz für allerlei Zerstreuungen
Sorge getragen. Da waren Gaukler und Komödianten, Musikanten und Tänzer –
da war Schönheit und Wein. All dies und dazu das Gefühl der Sicherheit
war drinnen in der Burg – draußen war der Rote Tod.
Im fünften oder sechsten Monat der fröhlichen
Zurückgezogenheit versammelte Prinz Prospero – während draußen die Pest
noch mit ungebrochener Gewalt raste – seine tausend Freunde auf einem
Maskenball mit unerhörter Pracht. Reichtum und zügellose Lust herrschten
auf dem Feste. Doch ich will zunächst die Räumlichkeiten schildern, in
denen das Fest abgehalten wurde.
Es waren sieben wahrhaft königliche Gemächer. Im allgemeinen bilden in
den Palästen solche Festräume – da die Flügeltüren nach beiden Seiten
bis an die Wand zurückgeschoben werden können – eine lange Zimmerflucht,
die einen weiten Durchblick gewährt. Dies war hier jedoch nicht der
Fall. Des Prinzen Vorliebe für alles Absonderliche hatte die Gemächer
vielmehr so zusammengegliedert, daß man von jedem Standort immer nur
einen Saal zu überschauen vermochte. Nach Durchquerung jedes
Einzelraumes gelangte man an eine Biegung, und jede dieser Wendungen
brachte ein neues Bild. In der Mitte jeder Seitenwand befand sich ein
hohes, schmales gotisches Fenster, hinter dem eine schmale Galerie den
Windungen der Zimmerreihe folgte. Diese Fenster hatten Scheiben aus
Glasmosaik, dessen Farbe immer mit dem vorherrschenden Farbenton des
betreffenden Raumes übereinstimmte. Das am Ostende gelegene Zimmer zum
Beispiel war in Blau gehalten, und so waren auch seine Fenster leuchtend
blau. Das folgende Gemach war in Wandbekleidung und Ausstattung
purpurn, und auch seine Fenster waren purpurn. Das dritte war ganz in
Grün und hatte dementsprechend grüne Fensterscheiben. Das vierte war
orangefarben eingerichtet und hatte orangefarbene Beleuchtung. Das
fünfte war weiß, das sechste violett. Die Wände des siebenten Zimmers
aber waren dicht mit schwarzem Sammet bezogen, der sich auch über die
Deckenwölbung spannte und in schweren Falten auf einen Teppich von
gleichem Stoffe niederfiel. Und nur in diesem Raume glich die Farbe der
Fenster nicht derjenigen der Dekoration: hier waren die Scheiben
scharlachrot – wie Blut.
Nun waren sämtliche Gemächer zwar reich an
goldenen Ziergegenständen, die an den Wänden entlang standen oder von
der Decke herabhingen, kein einziges aber besaß einen Kandelaber oder
Kronleuchter. Es gab weder Lampen- noch Kerzenlicht. Statt dessen war
draußen auf der an den Zimmern hinlaufenden Galerie vor jedem Fenster
ein schwerer Dreifuß aufgestellt, der ein kupfernes Feuerbecken trug,
dessen Flamme ihren Schein durch das farbige Fenster hereinwarf und so
den Raum schimmernd erhellte. Hierdurch wurden die phantastischsten
Wirkungen erzielt. In dem westlichsten oder schwarzen Gemach aber war
der Glanz der Flammenglut, der durch die blutig roten Scheiben in die
schwarzen Sammetfalten fiel, so gespenstisch und gab den Gesichtern der
hier Eintretenden ein derart erschreckendes Aussehen, daß nur wenige aus
der Gesellschaft kühn genug waren, den Fuß über die Schwelle zu setzen.
In diesem Gemach befand sich an der westlichen Wand auch eine hohe
Standuhr in einem riesenhaften Ebenholzkasten. Ihr Pendel schwang mit
dumpfem, wuchtigem, eintönigem Schlag hin und her; und wenn der
Minutenzeiger seinen Kreislauf über das Zifferblatt beendet hatte und
die Stunde schlug, so kam aus den ehernen Lungen der Uhr ein voller,
tiefer, sonorer Ton, dessen Klang so sonderbar ernst und so feierlich
war, daß bei jedem Stundenschlag die Musikanten des Orchesters, von
einer unerklärlichen Gewalt gezwungen, ihr Spiel unterbrachen, um diesem
Ton zu lauschen. So mußte der Tanz plötzlich aussetzen, und eine kurze
Mißstimmung befiel die heitere Gesellschaft. So lange die Schläge der
Uhr ertönten, sah man selbst die Fröhlichsten erbleichen, und die
Älteren und Besonneneren strichen mit der Hand über die Stirn, als
wollten sie wirre Traumbilder oder unliebsame Gedanken verscheuchen.
Kaum aber war der letzte Nachhall verklungen, so durchlief ein lustiges
Lachen die Versammlung. Die Musikanten schämten sich lächelnd ihrer
Empfindsamkeit und Torheit, und flüsternd vereinbarten sie, daß der
nächste Stundenschlag sie nicht wieder derart aus der Fassung bringen
solle. Allein wenn nach wiederum sechzig Minuten
(dreitausendsechshundert Sekunden der flüchtigen Zeit) die Uhr von neuem
anschlug, trat dasselbe allgemeine Unbehagen ein, dasselbe Bangen und
Sinnen wie vordem.
Doch wenn man hiervon absah, war es eine
prächtige Lustbarkeit. Der Prinz hatte einen eigenartigen Geschmack
bewiesen. Er hatte ein feines Empfinden für Farbenwirkungen. Alles
Herkömmliche und Modische war ihm zuwider, er hatte seine eigenen kühnen
Ideen, und seine Phantasie liebte seltsame glühende Bilder. Es gab
Leute, die ihn für wahnsinnig hielten. Sein Gefolge aber wußte, daß er
es nicht wahr. Doch man mußte ihn sehen und kennen, um dessen gewiß zu sein.
Die Einrichtung und Ausschmückung der sieben
Gemächer war eigens für dieses Fest ganz nach des Prinzen eigenen
Angaben gemacht worden, und sein eigener merkwürdiger Geschmack hatte
auch den Charakter der Maskerade bestimmt. Gewiß, sie war grotesk genug.
Da gab es viel Prunkendes und Glitzerndes, viel Phantastisches und
Pikantes. Da gab es Masken mit seltsam verrenkten Gliedmaßen, die
Arabesken vorstellen sollten, und andere, die man nur mit den
Hirngespinsten eines Wahnsinnigen vergleichen konnte. Es gab viel
Schönes und viel Üppiges, viel Übermütiges und viel Groteskes, und auch
manch Schauriges – aber nichts, was
irgendwie widerwärtig gewirkt hätte. In der Tat, es schien, als wogten
in den sieben Gemächern eine Unzahl von Träumen durcheinander. Und
diese Träume wanden sich durch die Säle, deren jeder sie mit seinem
besonderen Licht umspielte, und die tollen Klänge des Orchesters
schienen wie ein Echo ihres Schreitens. Von Zeit zu Zeit aber riefen die
Stunden der schwarzen Riesenuhr in dem Sammetsaal, und eine kurze Weile
herrschte eisiges Schweigen – nur die Stimme der Uhr erdröhnte. Die
Träume erstarrten. Doch das Geläut verhallte – und ein leichtes
halbunterdrücktes Lachen folgte seinem Verstummen. Die Musik rauschte
wieder, die Träume belebten sich von neuem und wogten noch fröhlicher
hin und her, farbig beglänzt durch das Strahlenlicht der Flammenbecken,
das durch die vielen bunten Scheiben strömte. Aber in das westliche der
sieben Gemächer wagte sich jetzt niemand mehr hinein, denn die Nacht war
schon weit vorgeschritten, und greller noch floß das Licht durch die
blutroten Scheiben und überflammte die Schwärze der düsteren Draperien;
wer den Fuß hier auf den dunklen Teppich setzte, dem dröhnte das dumpfe,
schwere Atmen der nahen Riesenuhr warnender, schauerlicher ins Ohr als
allen jenen, die sich in der Fröhlichkeit der anderen Gemächer
umhertummelten.
Diese anderen Räume waren überfüllt, und in ihnen
schlug fieberheiß das Herz des Lebens. Und der Trubel rauschte lärmend
weiter, bis endlich die ferne Uhr den Zwölfschlag der Mitternacht
erschallen ließ. Und die Musik verstummte, so wie früher; und der Tanz
wurde jäh zerrissen, und wie früher trat ein plötzlicher unheimlicher
Stillstand ein. Jetzt aber mußte der Schlag der Uhr zwölfmal ertönen;
und daher kam es, daß jenen, die in diesem Kreis die Nachdenklichen
waren, noch trübere Gedanken kamen, und daß ihre Versonnenheit noch
länger andauerte. Und daher kam es wohl auch, daß, bevor noch der letzte
Nachhall des letzten Stundenschlages erstorben war, manch einer Muße
genug gefunden hatte, eine Maske zu bemerken, die bisher noch keinem
aufgefallen war. Das Gerücht von dieser neuen Erscheinung sprach sich
flüsternd herum, und es erhob sich in der ganzen Versammlung ein Summen
und Murren des Unwillens und der Entrüstung – das schließlich zu Lauten
des Schreckens, des Entsetzens und höchsten Abscheus anwuchs.
Man kann sich denken, daß es keine gewöhnliche
Erscheinung war, die den Unwillen einer so toleranten Gesellschaft
erregen konnte. Man hatte in dieser Nacht der Maskenfreiheit zwar sehr
weite Grenzen gezogen, doch die fragliche Gestalt war in der Tat zuweit gegangen – über des Prinzen weitgehende Duldsamkeit hinaus. Auch
in den Herzen der Übermütigsten gibt es Saiten, die nicht berührt werden
dürfen, und selbst für die Verstocktesten, denen Leben und Tod nur
Spiel ist, gibt es Dinge, mit denen sie nicht Scherz treiben lassen.
Einmütig schien die Gesellschaft zu empfinden, daß in Tracht und
Benehmen der befremdenden Gestalt weder Witz noch Anstand sei. Lang und
hager war die Erscheinung, von Kopf zu Fuß in Leichentücher gehüllt. Die
Maske, die das Gesicht verbarg, war dem Antlitz eines Toten täuschend
nachgebildet. Und doch, all dieses hätten die tollen Gäste des tollen
Gastgebers, wenn es ihnen auch nicht gefiel, noch hingehen lassen. Aber
der Verwegene war so weit gegangen, die Gestalt des ›Roten Todes‹
darzustellen. Sein Gewand war mit Blut besudelt, und seine breite Stirn,
das ganze Gesicht sogar, war mit dem scharlachroten Todesspiegel
gefleckt.
Als die Blicke des Prinzen Prospero diese
Gespenstergestalt entdeckten, die, um ihre Rolle noch wirkungsvoller zu
spielen, sich langsam und feierlich durch die Reihen der Tanzenden
bewegte, sah man, wie er im ersten Augenblick von einem Schauer des
Entsetzens oder des Widerwillens geschüttelt wurde; im nächsten Moment
aber rötete sich seine Stirn in Zorn.
»Wer wagt es«, fragte er mit heiserer Stimme die
Höflinge an seiner Seite, »wer wagt es, uns durch solch
gotteslästerlichen Hohn zu empören? Ergreift und demaskiert ihn, damit
wir wissen, wer es ist, der bei Sonnenaufgang an den Zinnen des
Schlosses aufgeknüpft werden wird!«
Es war in dem östlichen, dem blauen Zimmer, in
dem Prinz Prospero diese Worte rief. Sie hallten laut und deutlich durch
alle sieben Gemächer – denn der Prinz war ein kräftiger und kühner
Mann, und die Musik war durch eine Bewegung seiner Hand zum Schweigen
gebracht worden.
Das blaue Zimmer war es, in dem der Prinz stand,
umgeben von einer Gruppe bleicher Höflinge. Sein Befehl brachte Bewegung
in die Höflingsschar, als wolle man den Eindringling angreifen, der
gerade jetzt ganz in der Nähe war und mit würdevoll gemessenem Schritt
dem Sprecher näher trat. Doch das namenlose Grauen, das die wahnwitzige
Vermessenheit des Vermummten allen eingeflößt hatte, war so stark, daß
keiner die Hand ausstreckte, um ihn aufzuhalten. Ungehindert kam er bis
dicht an den Prinzen heran – und während die zahlreiche Versammlung zu
Tode entsetzt zur Seite
wich und sich in allen Gemächern bis an die Wand zurückdrängte, ging
er unangefochten seines Weges, mit den nämlichen feierlichen und
gemessenen Schritten wie zu Beginn. Und er schritt von dem blauen Zimmer
in das purpurrote – von dem purpurroten in das grüne – von dem grünen
in das orangefarbene – und aus diesem in das weiße – und weiter noch in
das violette Zimmer, ehe eine entscheidende Bewegung gemacht wurde, um
ihn aufzuhalten. Dann aber war es Prinz Prospero, der rasend vor Zorn
und Scham über seine eigene unbegreifliche Feigheit die sechs Zimmer
durcheilte – er allein, denn von den andern vermochte infolge des
tödlichen Schreckens kein einziger ihm zu folgen. Den Dolch in der
erhobenen Hand war er in wildem Ungestüm der weiterschreitenden Gestalt
bis auf drei oder vier Schritte nahe gekommen, als diese, die jetzt das
Ende des Sammetgemaches erreicht hatte, sich plötzlich zurückwandte und
dem Verfolger gegenüberstand. Man hörte einen durchdringenden Schrei,
der Dolch fiel blitzend auf den schwarzen Teppich, und im nächsten
Augenblick sank auch Prinz Prospero im Todeskampf zu Boden.
Nun stürzten mit dem Mute der Verzweiflung einige
der Gäste in das schwarze Gemach und ergriffen den Vermummten, dessen
hohe Gestalt aufrecht und regungslos im Schatten der schwarzen Uhr
stand. Doch unbeschreiblich war das Grauen, das sie befiel, als sie in
den Leichentüchern und hinter der Leichenmaske, die sie mit rauhem
Griffe packten, nichts Greifbares fanden – sie waren leer ...
Und nun erkannte man die Gegenwart des Roten
Todes. Er war gekommen wie ein Dieb in der Nacht. Und einer nach dem
andern sanken die Festgenossen in den blutbetauten Hallen ihrer Lust zu
Boden und starben – ein jeder in der verzerrten Lage, in der er
verzweifelnd niedergefallen war. Und das Leben in der Ebenholzuhr
erlosch mit dem Leben des letzten der Fröhlichen. Und die Gluten in den
Kupferpfannen verglommen. Und unbeschränkt herrschte über alles mit
Finsternis und Verwesung der Rote Tod.
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